Die Nacht begann klar, irgendwann später wetterleuchtetet es im Westen. Mich kümmerte es wenig, da es eigentlich unmöglich zu mir kommen konnte.
Seltsame Geräusche um mich herum, die nach einzelnen Regentropfen klangen, ließen mich dann doch packen - gegen 04:41. Vermutlich waren das nur irgendwelche Insekten und von der steilen Böschung herabfallende Erdbröckchen. Bis ich den richtigen Weg fand, war ich einige Zeit auf Schafpfaden umhergeirrt. Am Anfang des Weges begegnete mir ein Esel mit Gepäck und seinem Besitzer, einem älterem Mann. Händeschütteln, Wohin? Nach Fushe Kruja? Ich solle lieber so dorthin fahren, wie ich hierhergekommen war. Ich hatte wenig Lust, den stachlig zugewachsenen Weg bergauf zu strampeln.
Den Weg, den Esel und Herr kamen, könne ich zwar auch nehmen, aber - dir Arme ausbreitend - soooviel Wasser sei dort. Ich nahm ihn trotzdem, kam gut über die etwas sumpfige Stelle und konnte dabei wieder ein paar Wege für OpenStreetMap sammeln. Der Weg führte allerdings zu einem Fluss mit steilen Uferböschungen. Ich hatte wenig Lust, das Fahrrad dort hinunter auf die angedeutete Furt zu schleppen. Noch weniger Vorfreude hatte ich auf die Überraschung, die das andere Ufer wohl für mich bereithalten würde. Ich kehrte also um und folgte einem Pfad. Der brachte mich aber nicht zur nächsten Brücke, sondern auf einen kleinen Bauernhof.
Ein paar Hunde kündigten mich an, eine ältere Frau kam mir entgegen und rief etwas nach dem Haus zu. Bald traten ein junger und ein mitteljunger Mann aus der Tür. Sehr offensichtlich waren sie hastig in ihre Sachen geschlüpft. Der Ältere begleitete mich zurück zu dem "großen" Weg, auf dem ich nun zum dritten Mal stand. Hierher hätte ich auch allein gefunden. :) Ohne Probleme gelangte ich dann auf teils erstaunlich guten Wegen zur SH2 und radelte Richtung Fushe Kruja. Wieder wollte ich ein Stück mit dem Bus fahren und tat es den Einheimischen gleich. Ich stellte mich an einer günstigen Stelle an den Straßenrand und wartete - relativ lange - auf einen Bus nach Shkodra.
Ein paar waren zu klein (ohne Unterflur-Gepäckfach), einer nahm mich wegen offensichtlicher Überfüllung nicht mit. Eine halbe Stunde darauf hielt ein Bus, bei dem ich mit Fahrrad und Gepäck für 1000 Lek mitfahren durfte. An der Endstation in Shkodra gab es interessanterweise keinen GPS-Empfang; ein paar Meter weiter funktionierten die Geräte wieder. An dem Platz kaufte und aß ich noch einen Hot Dog mit zwei kleinen Würstchen.
In einer Bäckerei erstand ich ein "Pizza"brot und ein Brötchen. Als ich ersteres auf dem Fußweg verzehren wollte, war jemand so liebenswürdig, mir für die Pause einen Stuhl auf den Fußweg zu stellen.
Da mir am Morgen vermutlich ein hinterlistiger Brombeerstrauch meinen Hut unter den Gepäckgummis herausgezerrt hatte, schaute ich nach einem tauglichen Ersatz. Leider waren - wie so oft - die Kopfbedeckungen zu klein für meinen Dickkopf. An einem Stand verkaufte eine ärmlich gekleidete Frau schmutzige, speckige, kurz: unappetitliche Basecaps. In den Ausläufern Shkodras gab ich meine letzten Lek für Süßigkeiten und eine Dose Amstel-Bier aus. Dann ging es endgültig Richtung Grenze. Die Straßenqualität war wieder sehr wechselhaft. Teils alter Asphalt, teils sogar geschreddert, dann wieder (für Kfz gesperrte) nagelneue Straßenstücke.
Auf einem der neu asphaltierten Stücke begegnete ich einem polnischem Reiseradler aus Waldenburg. Seit dem 07.07. war er unterwegs. Hierher war er über Tschechien und Ex-Jugoslawien gelangt. Er war mit sehr schmalen Reifen unterwegs und klagte entsprechend über die schlechte Straße. Dieses Stück sei ja in Ordnung, aber von der Grenze bis hierher - "oh my god!" Die Strecke von Shkodra Richtung Grenze hatte mir auch ganz schön zugesetzt, die Gelenke schmerzten. Ich sagte nicht viel dazu, was hätte es auch genützt? Vielleicht würde er bessere Abschnitte finden als ich? Und wenn es schwer für ihn würde, wozu ihn schon im Voraus ängstigen? Umkehren würde er sicher nicht.
Kurz vor der Grenze sah ich den ersten Ausläufer des Shkodra-Sees. In Montenegro ging es auf besserem Asphalt wieder bergauf. Von etlichen Entgegenkommenden gab es "Unterstützung": Rufe, hochgereckte Daumen - auch von einem Deutschen.
An einer Straßensperre bekam ich von dem Jüngeren der zwei Wärter einen Apfel. Als ich mich anschickte, ihn sofort zu verzehren,wurde mir noch seine Sitzgelegenheit - ein Holzklotz - angeboten. Ich durfte die wegen Bauarbeiten gesperrte Straße befahren; sie sollte wohl weniger Steigung haben als die Umleitung - dem war auch so. Ich sah umfangreiche Bauarbeiten, die die kurvenreiche Strecke entschärfen sollten. Auf den See gab es wunderschöne Aussicht.
Später machte ich an Tankstelle Pause und wollte hochmodern elektronisch das Hinterrad wieder auf fünf bar bringen. Leider ging dem Automat schon bei reichlich vier bar die Puste aus. Bei dieser Gelegenheit ließ ich eine Ventilkappe liegen. Im letzten größeren Ort vorm Übernachten traf ich einen Norweger. Wir unterhielten uns lange über seine und meine Tour, Höhepunkte und andere Radler. Ich gab ihm zwei Paprika und bisschen Verbandszeug für seinen leicht verletzten Fuß.
Dann kaufte ich noch eine große Fanta. Ein Mann, der an der Straße sein Auto wusch, füllte gern meine Wasserflaschen auf. Nachdem ich einen ausgetrockneten Fluss mit bizarren Ufern überquert hatte, schlug ich das Lager mangels besserer Alternativen auf einer kargen, weiten, sehr steinigen Weide auf. Zwei kleine Siedlungen waren jeweils nur ein paar hundert Meter entfernt.
Die bisher durchquerten Ortschaften in Montenegro unterschieden sich merklich von den albanischen. Hier waren die meisten Häuser verputzt und gestrichen, viele waren mit akkuraten Zäunen aus Beton, Metall oder Holz umgeben. Auch Müll war bei diesen Häusern kaum zu sehen; dafür war er auch hier in der Landschaft zu finden, teilweise in Form von wilden Müllkippen.