Heute wachte ich 5:19 nach einem schönen, aber nur bruchstückhaft erinnerten Traum auf. Am kleinen Becken füllte ich meine Flaschen mit warmem Quellwasser. Auf die Frage nach der Trinkwasserversorgung hatte Jedmir gestern diese Quelle genannt. In der Furt wusch ich noch ein T-Shirt, Hände und Gesicht. Von oben sah ich Jedmir den Hang gegenüber erklimmen und rief ihm ein Goodbye zu.
Die Felsen am Flussdurchbruch waren beeindruckend. Von dem sich an den Berghängen entlang windenden Weg konnte ich sie lange bestaunen. Da hier keinerlei Schilder standen, wählte ich nach Gutdünken jeweils den Weg, der am stärksten befahren wirkte. Einmal war ich trotzdem falsch abgebogen und geriet in eine Baustelle, die eine Sackgasse war.
Obwohl es hier keine seitlich abzweigenden Wege gab, tauchte auf dem Rückweg ein Mann auf. Er nahm einen Schluck von meinem Wasser. Unterhaltung per Zeichensprache: woher - wohin - ob ich was zu rauchen habe. Dann bedeutete er mir, ich solle ihn begleiten. Da mir das mit der Zeit zu lang dauerte, wollte ich mich verabschieden. Er meinte: nur noch ein paar Meter! Schließlich kamen wir zu einem Gärtchen mit Paprika und Tomaten: ich sollte mir etwas nehmen. Da ich ihm zu zaghaft war, pflückte er selbst noch mehr, reichte mir die Früchte und verabschiedete mich dann.
Zurück an der Kreuzung, an der ich falsch abgebogen war, sah ich einen 12-sitzigen Kleinbus auf dem ausgefahrenen Weg wenden und Richtung Banjat e Benjës verschwinden. Dann überquerte ich auf einer Brücke den Fluss erneut. Hier strömte er schnell in einer tiefen, sehr schmalen Klamm dahin.
Dann führte der Weg wieder aufwärts in die Hügel. Meist war er zu uneben und zu steil, um mit dem schweren Fahrrad zu fahren. So schob ich langsam dahin, genoss alle paar Meter das herrliche Panorama des breiten, steinigen Flussbettes zwischen den teils blanken, teils bewaldeten Bergflanken mit kaum einer Spur menschlichen Wirkens.
Zum ersten Mal sah ich bewusst Maulbeerbäume mit wirklich reifen schwarzen Früchten. Natürlich aß ich davon. Es schmeckte köstlich, der Saft der Früchte färbte stark blaurot.
Weitere Begegnungen:
Irgendwo auf der Piste kam mir ein Jeep entgegen. Ich machte Platz, aber der Fahrer hielt an, gab mir die Hand und fuhr erst nach dem Austausch einiger Freundlichkeiten weiter.
Zum Mittag saß ich an einer Quelle unter einem Pflaumenbaum, als einige Männer mit einem Jeep gefahren kamen. Sie grüßten mich, während aus der anderen Richtung eine ältere und eine junge Frau auf Maultieren geritten kamen. Sie verschwanden bald bergauf - vermutlich aßen sie dort zu Mittag.
Dann traf ich einen älteren Maultiertreiber, der außer dem Woher und Wohin nicht sehr freundlich nach Geld und Tabak fragte. Bald danach gelangte ich in das erste Dorf, das ich heute sah. An dessen Eingang trank ich an einer Quelle, als mich ein junger Mann, fast noch ein Jugendlicher einholte. Schon kurz nach der Überquerung des Flusses hatte ich das Gefühl, dass mir jemand folgte. Ich hatte den Eindruck, dass er, kurz bevor er mich einholte, sein Handy zückte und es Musik spielen ließ. Wenig später hatte ich ihn wieder eingeholt. Er stand an einer Weggabelung und schien zu telefonieren, während er mich beobachtete.
Das Dorf war sehr malerisch gelegen; teilweise terrassierte Gärten, die Zäune waren aus dünnen Zweigen geflochten. Die Mauern und Dächer der Häuser bestanden aus Steinplatten der Berge, auf denen sie standen.
Nachmittags begegnete mir die polnische Familie mit dem Toyota-Jeep, die ich bereits am letzten Abend in Banjat e Benjës kurz gesprochen hatte. Der Vater zückte die Karte (die gleiche wie meine) und zeigte, welche schöne Flecke sie schon besucht hatten. Die Straße Richtung Çlirim - wohin ich wollte - sei nur für Krads und Fahrräder zu befahren. Er warnte mich auch vor einem großem Hund in etwa einem Kilometer Entfernung. Er fuhr dann weiter - zurück Richtung Banjat e Benjës.
Nach einiger Zeit traf ich einen betagten Ziegenhirt mit seiner Herde. Sein großer weißer Hund war es wohl, vor dem ich gewarnt worden war. Richtig stellte er mir auch nach, obwohl der Hirt ihn zurück rief. Einige Steinwürfe überzeugten ihn, dass er besser seinem Herrn gehorchen sollte.
Dann war ich im nächsten Dorf angelangt: Frashër. Für die 30 Kilometer hierher hatte ich über fünf Stunden benötigt. Vor einem sehr respektabel aussehendem Gebäude füllte ich meine Flaschen an einer Wasserstelle. Später erfuhr ich, dass dies ein Museum über drei berühmte Brüder namens Frashëri war, die aus dem Dorf stammten und sich auch danach nannten. Sie hatten zu ihrer Zeit erheblichen Einfluss auf Albanien.
Von hier aus wollte ich nach Nordosten Richtung Korçë fahren.¹ Als ich die Karte studierte, kam ein Mann dazu und legte mir in recht gutem Englisch sehr nachdrücklich ans Herz, nicht Richtung Çlirim (nächstes größeres Dorf im Nordosten) zu fahren. Ich müsste das Fahrrad über einen Erdrutsch mit Geröll und Bäumen tragen. Sogar Touristen mit Cross-Motorrädern seien wieder umgekehrt. Seiner Aussage zufolge könnten dort nur Tiere den verschütteten Weg passieren.
Eingedenk der "Qualität" des heutigen Weges ging ich darauf ein; um so mehr, als der Cousin des Mannes mit dem Pick-Up nach Permët fahren wollte und mich mitnehmen könnte. Es kamen noch ein defektes Gewehr zur Reparatur mit, zudem zwei vermutlich damit noch erlegte Hasen, der "Übersetzer" und ein weiterer Mitfahrer. Erst durfte ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen; als noch mehr Leute zustiegen, begab ich zu ein paar anderen auf die Ladefläche.
Im Gegensatz zu meinem bedächtigen Übersetzer machte sein Cousin einen etwas leichtfertigen Eindruck und fuhr auch entsprechend. Der Übersetzer sagte, dass er Englisch studiert hatte, vermutlich war dies schon eine Weile her. Zwar sprach er im Gegensatz zu anderen seines Alters ein gutes Englisch, aber etliche mir geläufige Vokabeln kannte er nicht. Sein Alter schätzte ich auf Anfang vierzig. Er wie auch einige andere der Mitfahrenden waren arbeitslos. Einer war früher Sekretär und trug auch auf der Ladefläche sitzend ein Hemd und Hosen mit Bügelfalten, ein anderer Oberst.
An Hauptstraße angekommen ließ ich mich an der Kreuzung absetzen, da ich in die Permët entgegengesetzte Richtung wollte. Ob ich etwas schuldig sei, wurde mir überlassen. Ich hoffte, dass fünf Euro angemessen waren... Recht schnell fand sich eine Platz zum Übernachten - es war immerhin gegen gegen 20:00 Uhr. Die Abendrituale inklusive Waschen in der Vlora handelte ich zügig ab und machte ziemlich fertig Feierabend.
¹ Ursprünglich stand hier "Von hier aus wollte ich nach Norden Richtung Kalcë fahren." Aber ich meinte vermutlich Korçë und hatte mich entweder verschrieben (Verwechslung mit dem slowenischen Kalce) oder die Karte von Reiseknowhow war entsprechend schlecht. Den auf dieser Seite ursprünglich enthaltenen Ort "Climbim" habe ich durch den korrekten Name "Çlirim" ersetzt.