Am Morgen gab es einen leichten Regenschauer, der Himmel war stärker bewölkt. In der Talebene der Vlora war es fast wolkenlos. Wie die an den letzten Tagen wehte ab dem späten Vormittag Wind aus Nordwest.
Ich packte nur langsam, um dem Tarp eine Gelegenheit zum Trocknen zu geben, neun Uhr fuhr ich los. Nach dem ersten langen Aufstieg vom Reservoir war Berg- und- Talfahrt angesagt. Irgendwo bog ich auf eine nagelneue Straße ab, folgte ihr aber nicht bis zum Ende, weil es mir nicht ganz geheuer vorkam. So landete ich in einem Dorf mit einem relativ großem Supermarkt. Vom gut englisch sprechenden Sohn des Marktbesitzers erfuhr ich, dass dieses Dorf das Zentrum der umliegenden Orte sei und immerhin 500 Einwohner habe. Er selbst hoffte, bald im Ausland studieren zu können. Mir wurde empfohlen, eine Sehenswürdigkeit namens Bylis zu besichtigen.
Wie gestern sah ich viele Männer an der Straße stehen. Vom 12jährigen bis zum Rentner war jedes Alter vertreten. Alle hofften sie, ein bisschen Geld zu verdienen. Manche mit dem Verkauf von Obst, Gemüse, gerösteten Maiskolben, andere mit einer Autowäsche. An einer Stelle waren ein paar jugendliche Maiskolbenverkäufer ziemlich penetrant, so dass ich in die Pedalen trat, um ihnen zu entkommen. Nur wenige Meter weiter saßen junge Männer mit den gleichen Verkaufsabsichten, aber sie winkten mir nur freundlich und stumm zu. Nachdem ich ein aus allen Löchern Erdöl schwitzendes, mit Öltürmen übersätes und entsprechend riechendes Tal durchquert hatte und eine ordentliche Strecke bergauf gefahren war, gelangte ich dank der guten Beschreibung zu der Sehenswürdigkeit.
Der laut Schild "Archäologische Park Bylis" umfasst eine recht große Fläche. Dort kann man viele große, aufeinander gesetzte Steine sehen - die Reste der einstigen illyrischen Stadt Byllis. Die Wasserversorgung auf diesem Berggipfel war vermutlich ein Problem, dafür konnte man sicher schon damals wie auch heute eine wunderbare Aussicht in zwei Täler genießen.
Im Tal der Vlora war eine neu gebaute Straße sehen - vermutlich dieselbe, auf der ich heute schon einmal war. Ich beschloss, auf dieser Straße weiterzufahren. Vorher musste ich nur das kleine Kunststück fertigbringen, von dem Berggipfel zu der kilometerweit entfernten Straße zu gelangen. Mit ein wenig Auskunft von einem Ansässigen fand ich nach kurzer Irrfahrt den richtigen Weg. Keine drei Meter breit war er, meist asphaltiert, an manchen Stellen trat aber großflächig der Unterbau zutage. Auf lange Strecken hin wurde man von Brombeerhecken begleitet. Oft hielt ich an und aß ein paar der Beeren.
Gerade stand ich nach der Abfahrt an der Kreuzung der neuen Straße, als neben mir ein Motorrollerfahrer mit zwei Kindern hielt. Ich solle ihn doch begleiten, zu einem Bad im Fluss. Hm, warum nicht? Ich folgte ihm durch das trockene, steinige Flussbett, bis der Untergrund so holprig war, dass das Radfahren unmöglich wurde. Der Rollerfahrer kam ohne die Kinder zurückgefahren und stürzte auf der holprigen "Piste". Er zeigte mir die Richtung, in die ich gehen sollte. Mit Handtuch und Shampoo machte ich mich auf den Weg.
Nach dem Bad (ich solle nicht zu weit rausschwimmen, wegen der Strömung!) gab es für die Kleinen ein Eis, für die Großen ein kaltes Bier. Er wollte ziemlich viel mitteilen, aber da mein Albanisch noch mangelhafter war als sein Englisch, wurde ich dessen bald überdrüssig. Immerhin hatte ich verstanden, dass er in Italien gastarbeitete und deshalb auch italienisch sprechen konnte. Auch war er stolz auf sein Land und das saubere Wasser des Flusses. Ich bedankte mich für das Bier und verabschiedete mich. Obwohl ich mir den Weg nicht eingeprägt hatte, fand ich in dem weiten Flussbett zum Fahrrad und damit zur Straße zurück.
Die Straße war traumhaft: zehn Meter breit, exzellent glatter Asphalt und keine Steigung. Damit es mir nicht zu gut gehe, bekam ich ordentlichen Gegenwind. Bald bestand die Oberfläche der Straße aus feinem, meist festgefahrenem Schotter. Wenig später hatte ich wieder meine Lieblingspiste unter den Rädern: lose Kiesel bis zur Größe einer Faust. Seufz. Immerhin führte die Straße nicht bergauf. Ich sah den ersten Pferdekarren in diesem Urlaub. Später wechselte der Straßenbelag wieder zu Asphalt.
Bei der Suche nach einem Schlafplatz gelangte ich in ein Dorf. Bei zwei unfertigen Häusern fragte ich, ob ich dort schlafen könne: Nein, das sei sein Haus. Komische Begründung... Dafür zeigte der Besitzer und Bauherr mir eine gute Quelle, die in die Vlora floß. Gleich nebenbei gab es ein idyllisches Plätzchen unter einer Trauerweide, wo ich sehr gern übernachtet hätte - wenn mein Nicht-Gastgeber mir nicht wiederholt und nachdrücklich davon abgeraten hätte. Da er laut eigener Auskunft Polizist war, folgte ich schweren Herzens seiner Aufforderung. Dass dabei dauernd sein linkes Augenlid zuckte half mir auch nicht. Immerhin war er spendabel und gab mir aus seinem Garten Tomaten, Paprika und eine Galia-Melone mit. Die größten in seinem Garten wachsenden Tomaten hätten nur mit Mühe auf meinen beiden Händen Platz gefunden.
Also fuhr ich weiter. Mehrmals musste ich umkehren, weil sich Wege als Sackgasse entpuppten, bis ich schließlich zum sandigen Ufer des Flusses fand. Um ein Bad zu nehmen, musste ich noch eine ziemliche Strecke gehen. Am gegenüberliegenden Ufer trieb ein Hirt seine Schafherde stromaufwärts.