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  • Wetter: Sonnig, leichter Wind aus Norden

    0553 schaute ich das erste Mal auf die Uhr.

    Vor Klaipeda sah ich den ersten Wegweiser: "Centras 5 km", danach fuhr ich an dem Ortseingangsschild vorbei. Als ich auf einem schmalen Weg durch ein Wohngebiet fuhr, lief eine alte Frau vor mir her. Sie war auf dem Weg zu einer modern aussehenden, aus Beton errichteten Kirche. Vor dem Haupteingang war ein kleiner Stand mit religiösem Zubehör, weiterhin waren ein Krankenwagen und die obligatorischen Gaffer zu sehen. Ich war schon auf dem Weg zur Fähre, als ich meine Meinung änderte und abbog, um zuvor noch durch die Altstadt zu bummeln. Deren Straßen sind mit teilweise sehr holprigem Pflaster befestigt.

    Vor einem Hotel stand eine Reihe Motorräder mit D-Kennzeichen. Eines trug Koffer mit der Aufschrift "Jörg's Aktiv-Reisen www.masurenbike.de" Ein VW-T5 mit Uelzener Kennzeichen hatte gerade eingeparkt, er war mit Werbung für "Motorrad - Europas größte Motorradzeitschrift" beklebt. Ich grüßte den gerade ausgestiegenen Fahrer im Vorbeifahren mit "Guten Morgen", er tat es mir gleich.

    Ich vernahm Klarinettenmusik, in deren Richtung ich fuhr. Sie verstummte aber bald, nachdem ich auf dem Theaterplatz eingetroffen war. Ein junger Mann hatte vor dem Ännchen-von-Tharau Springbrunnen-Denkmal für Touristen gespielt, die weitergezogen waren. Zeitgleich mit mir kam ein Mädchen (vermutlich seine kleine Schwester) mit zwei Hunden, mit denen er sich beschäftigte. Nach längerer Zeit kam erneut eine Gruppe (deutscher) Touristen, nach langen Erklärungen sagte die Führerin: "Und jetzt wirrd mein Schüler [...] spielen." Er spielte erst "Ännchen von Tharau", dann zwei weitere Stücke; von denen mir das zweite besonders gefiel.

    Nachdem die Touristen weitergezogen waren, ging ich zu dem Musikanten und dem älteren Mann, der auf dem Druckerzeugnisse zum Kauf anbot. Dem Musiker gab ich 5 LT in die Schale, dem Mann kaufte ich ein paar deutschsprachige Hefte und zwei Postkarten für vermutlich unverschämte 28 LT ab. Ich hätte feilschen sollen. Mit dem Musiker (und indirekt mit dem Mann) unterhielt ich mich noch etwas. Deutschland hatte ein Spiel in der WM 4:00 gewonnen und ist weiter gekommen. Na denn.

    Der Musiker will in Großbritannien (wenn ich mich richtig erinnere) Musiktechnik studieren - nicht das Instrument, das er spielt - und braucht dafür Geld, logischerweise. Sein Instrument ist keine Klarinette, sondern ein traditionelles litauisches. Der größte Teil besteht ist aus Holz, der untere Teil als Schalltrichter aus Horn. Er entschuldigte sich noch, dass er - aus Nervosität - teilweise falsch gespielt hatte. Ein bisschen war es zu hören gewesen, mir hatte es trotzdem gefallen und das sagte ich auch. Ich gab ihm noch 10 LT; er wehrte erst ab; ich meinte: "I guess everybody needs money... :)".

    An der Fähre war sonntäglicher Hochbetrieb. Die einfache Fahrt sollte 2,90 kosten, Hin- und Rückfahrt 5,-. Ich nahm ersteres: Wer weiß, ob ich nicht doch nach Kaliningrad komme oder das Ticket nur für einen Tag gilt. Die Fähre hatte gerade abgelegt, bis zur nächsten Überfahrt war noch ein wenig Zeit. Ich radelte noch etwas durch den Hafen. Am ...Museum sah ich einen Bus mit Werbung für den VFL Plauen und lettischem Kennzeichen stehen.

    Die Kurische Nehrung war für den Tourismus gut erschlossen. Rad- und Fußwege führten von der nördlichen Spitze bis zum letzten Ort vor der Grenze. Der Radweg selbst war durchschnittlich; die Breite reichte für den Sonntagsverkehr nicht wirklich. Großenteils war der Weg gut asphaltiert, teilweise weniger gut, auf einigen Stücken war die Befestigung furchtbar. Auf der oft parallel verlaufenden Landstraße war das Radfahren auf einigen Abschnitten verboten. Ich sah viele Radler mit Packtaschen, darunter etliche Fernreisende. An einer Kreuzung traf ich zwei Mädchen, die sich auf deutsch unterhielten. Wir schwatzten kurz miteinander, sie waren offenbar vom Campingplatz in Nida.

    Zu Mittag aß ich in der Vila Karaliè Luizè in Pervalka. Ich musste ein paar Treppen nach unten steigen. Vor der zum Restaurant gehörenden Terasse am Wasser verlief ein von Fußgängern und Radfahrern stark frequentierter Weg; ich hatte wohl den Hintereingang genommen.

    Nachdem mir der Kellner erklärt hatte, was Cepelinai sind und diese bestellte, empfahl er mir, nur eine halbe Portion zu nehmen, da sie sehr groß ausfalle. Das Messer war schmutzig und wurde nach einer Bemerkung meinerseits rasch getauscht. Ich aß:

  • 6,-- Suppe (nicht sehr warm)
  • 12,50 Cepelinai: ähnlich einem großen Grünen Kloß mit Fleischfüllung und Soße
  • 4,-- Kaffee (hatte eigentlich Kefir bestellt)
  • 5,-- 0,5l Kvas
  • 6,50 Früchte mit Schlagsahne
  • 34,--

    Trotzdem ich eine ganze Portion bestellt hatte, wurde eine halbe serviert. Für dieses Versehen war ich nach dem Essen relativ dankbar, satt war ich durchaus geworden. Draußen saß ein Mann, der eine ganze Portion bestellt hatte. Leider beobachtete ich nicht, ob er brav alles aß. Während des Essens kamen vier ältere Radler mit SFU-Ortlieb-Taschen an. Nachdem ich aufgegessen hatte ging ich auf die Terasse und bat wortwörtlich) darum, ihnen ein Gespräch ans Knie nageln zu dürfen.

    Es wurde ganz nett: eine Frau stammte aus Dresden, gehört mit den anderen aber schon länger zu den "Nordlichtern" (Norddeutschen), wie sie sagte. Sie wollten von der Nehrung aus nach Norden fahren und von mir erfahren, was ich zu der Gegend zu sagen hatte. Ich erzählte von unbefestigten Pisten und Mücken und vergaß über dem Lästern ganz die schönen Seiten. Wir stimmten überein, dass die "Nordländer" (Balten,Finnen) sich kühl geben, unbeeindruckt, aber sehr hilfsbereit sind, wenn sie gebeten werden. Der Mann erzählte noch, dass ein Arbeitskollege ihn für verrückt erklärt, weil er im Urlaub Radtouren unternimmt.

    Nach etlichen weiteren Kilometern erreichte ich Nida. Am Ende des Ortes waren die Dünen zu sehen.

    Beeindruckend.

    Ich genoss das Panorama von unten und die Aussicht von oben. Als ich über eine lange, lange Treppe mit vielen Absätzen wieder nach unten ging, war vor mir ein Mann, der sein Fahrrad mitschleppte. Meines hatte ich unten an einer Infotafel stehen gelassen.

    Dann fuhr ich zurück durch Nida auf die Landstraße und bis zur russischen Grenze. Ich schaute nur von Weitem und kehrte wieder um. Eine sichere Heimkehr war mir lieber als ein ungewisses Abenteuer mit den Grenzern, wovon mir schon so Einiges erzählt wurde. Gewiss war davon manches übertrieben, aber einen wahren Kern hatten die Erzählungen bestimmt. Später (und in sicherer Entfernung) ärgerte ich mich, nicht wenigstens gefragt zu haben...

    Ich fuhr auf der Landstraße zurück. Von Nida zur Grenze war es schön bergab gegangen, den Rückweg wollte ich mir nicht unnötig schwer machen. Auf Höhe Pervalka fiel mir ein, dass es eigentlich eine gute Idee wäre, gleich von Pervalka aus aufs Festland überzusetzen - wenn möglich. Allerdings hätte ich das für den nächsten Tag in Betracht gezogen, heute war ich fleißig genug gewesen. Eine Frau die gerade des Weges kam meinte, dass in Pervalka die Beförderung ans Festland unwahrscheinlich sei, in Nida wahrscheinlicher. Für die bloße Wahrscheinlichkeit und die Übernachtung auf einem Campingplatz wollte ich keine 15 km zurückfahren.

    Also radelte ich weiter, bis ich die rote Zone des Naturschutzgebietes hinter mir gelassen hatte. Laut der Beschilderung war Zelten und offenes Feuer verboten. Da ich weder das Eine noch das Andere vorhatte suchte und fand ich guten Gewissens ein stilles Plätzchen für die Nacht, wo ich Fahrrad und Gepäck zurückließ. In der Ostsee erledigte ich die tägliche Wäsche.

    Dann schaffte ich die feuchte Kleidung zum Lagerplatz und holte Handy, Tagebuch und "River Piedra". Ich setzte mich auf eine Bank am Strand und schrieb SMS und Tagebuch (letzteres um 18:52).

    -- Mit Zzing und Akkulader hatte ich mittlerweile doch Erfolg. Vorgestern lud ich einen Lithium-Ion-Akku der Kamera, heute zwei AA-Akkus mit 2850 mAh. --

    Nach den Tagebucheinträgen las ich das Buch weiter. Mit der Zeit wurde mir durch den Wind zu kühl, so dass ich zum Lager ging.

    Da ich am Strand mehrmals ein kleines, niedrig fliegendes Flugzeug gesehen hatte und an die Verbotsbeschilderung dachte, fiel das Lager heute sehr minimalistisch aus. In der versteckten, sandigen Mulde legte ich die Bodenplane auf 1,1x2 m aus, dazu Matte und Schlafsack. Das neongrüne T-Shirt hängte ich lieber nicht zum Trocknen auf, sondern packte es in eine Plastiktüte und diese ins Gepäck. Nachdem ich das zweite Buch von Paolo Coelho ausgelesen hatte, schlief ich irgendwann ein.

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