t = 7:37:50 vmax = 52 km/h
Wetter: fast vollständig wolkenlos, entsprechend sonnig, 100% starker Gegenwind
Das Tagebuch enthält außer Kilometerständen keine Einträge mehr, die Ursachen dürften sich bei der weiteren Lektüre erschließen. In Erinnerung blieb mir nicht viel von diesem Tag, vermutlich war ich zu lange in der Sonne. :) Es war sehr hell, gegenwindig, die Straße ein einziges Auf und Ab. Der Verkehr auf der vierspurigen Straße war wie tags zuvor nicht übermäßig stark, in dieser Hinsicht bereitete das Fahren kein Problem.
Oft wurde die Straße zu beiden Seiten von einem Weg begleitet, auf dem Anwohner und Fußgänger verkehrten. Um die Mittagszeit machte ich auf einem schattigen Streifen des Wegesrandes Rast. Nachdem ich gegessen hatte, legte ich mich auf das dürftige Gras und machte mit der Weste unter dem Kopf ein Nickerchen. Durch Rufe in meiner unmittelbaren Nähe wurde ich aufgeschreckt. Ein Passant hatte mich geweckt, weil er sah, dass meine Fahrradhandschuhe drohten weggeweht zu werden. Ich dankte ihm, packte meine Sachen und ging wieder auf Achse.
An etlichen Tankstellen machte ich halt, um meine Wasservorräte aufzufüllen und meine Kleidung mit Wasser zu tränken. Durch den starken Wind wurde ich so wenigstens gut gekühlt.
In einem kleinen Laden irgendwo an der Strecke kaufte ich Brot, danach hatte ich nur noch wenige Kuruş übrig. In Silivri wollte ich damit eine Melone kaufen. Der Verkäufer lachte und schüttelte den Kopf, es war wohl erheblich zu wenig. Als ich wieder auf das Fahrrad steigen wollte, das ich vor dem LKW abgestellt hatte, kam er hinterher und schenkte mir eine Melone. Ich verspürte Scham, hatte ich doch halb und halb damit gerechnet... Dem Verkäufer dankte ich herzlich.
Nicht lange danach stand an der Straße ein Rastplatz mit Bänken, Tisch und Überdachung, an dem ich pausierte, um von der Wassermelone zu essen. Ich schnitt sie mit dem Cuttermesser aus Tschechien auf und aß das Fruchtfleisch mit dem Löffel. Dann ruhte ich mich noch ein wenig aus und betrachtete die Stadt, über die sich langsam die Dämmerung legte. Gleich nebenan waren zwei junge Männer mit einem Teppich zugange, den sie gereinigt hatten und jetzt auf ein hohes fahrbares Aluminiumgerüst hängen wollten. Als sie nach dem misslungenen ersten Anlauf den zweiten starteten, schlich ich mich von hinten heran und schob den Teppich über das Gerüst, was mir wegen meines höheren Wuchses leichter fiel als ihnen. Sie schauten verdutzt, dann lachten sie und dankten.
Ich brach wieder auf, um mein Tagessoll zu erfüllen. Ich hatte noch nicht einmal 100 km geschafft - und das bei einem Durchschnitt von wenig mehr als 10 km/h. In Büyükçekmece ging es wieder einmal lange und steil bergauf. Ich klemmte mich hinter einen großen LKW, um den Windschatten zu genießen, war aber nicht in der Lage, dessen Tempo zu halten. Kurz darauf fuhr ich an ihm vorbei: er war von der Polizei herausgewunken worden. Nachdem ich diesen steilen Berg hinter mir gelassen hatte, wurde das Fahren angenehmer. Von den Abfahrten konnte ich genügend Schwung mitnehmen, um die - nun nicht mehr so steil scheinenden - Hügel zu überwinden.
Ich erreichte die ersten Ausläufer Istanbuls. Der Verkehr wurde lebhafter, die Straße war achtspurig, wenn man die mehr oder weniger getrennten parallel verlaufenden Anliegerstraßen mitzählte. Dieser Teil der Fahrt war sehr aufzeichnenswert, aber auch mit funktionierender Kamera hätte ich das nicht versucht, zu sehr musste ich auf den Verkehr achten.
Nachdem ich eine ganze Weile dahingejagt war, sagte ich mir, dass ich langsam einen Schlafplatz suchen sollte, wollte ich Istanbul nicht bei Nacht durchfahren. :) Ich nahm die nächste Abfahrt und fuhr dann durch ein paar kleine Straße Richtung Meer. Ich bummelte durch Parkanlagen und am Strand entlang, genoss das rege Nachtleben und sah dabei leider kein geeignetes Fleckchen zum Schlafen.
Das Fahrrad stellte ich an einer kleinen Brücke neben einem leeren Bootsliegeplatz ab und ging ein wenig umher, damit meine Beine sich einer Abwechslung erfreuen konnten. Gegen neun Uhr setzte ich mich an einer kleinen Hafeneinfahrt auf die von der Sonne noch immer warme Mole und schrieb eine SMS nach Hause:
31.07.08 20:52:28 Bin kurz vor
Istanbul,noch auf Schlafplatzsuche.Bei ganztägigem Gegenwind 102km
gefahren *ächz
und betrachtete dann das Treiben um mich herum. Nicht weit entfernt saß ein Liebespaar, an anderer Stelle ein einzelner Mann mit einer Tasche voller Flaschen. Viele Menschen flanierten am Strand, auf der anderen Seite der Bucht sah man die Lichter einiger Ortschaften. Darüber reihten sich am nachtschwarzen Himmel die Flugzeuge in einer lockeren Kette im Anflug auf Atatürk. Aus den Restaurants am Hafen erklang Musik. Ich hätte ewig so sitzen und schauen können. Ich wechselte aber noch einmal meinen Platz und setzte mich auf Stufen bei der Brücke, an der mein Rad stand.
Ein kleines Boot kam durch die Einfahrt und legte an dem bisher leeren Platz in meiner Nähe an. Danach trugen die vier Männer ein paar Stühle und eine Kiste an Land, stellten zwei Flaschen, Gläser, einige Schüsseln darauf und setzten sich im Kreis. Mir war nicht entgangen dass ihnen nicht entgangen war dass ich sie beobachtete. Ich wollte sie nicht bei ihrem Beisammensein stören, deshalb erhob ich mich, nickte den Männern zu und wollte mit dem Rad davonschieben. Die Männer jedoch riefen und winkten, dass ich herüber kommen solle.
Alle vier hatten bereits ein gesetzteres Alter erreicht, bis auf den Kapitän sprachen alle ein wenig Englisch. An dem Abend merkte ich mir die Namen der drei englisch Sprechenden leicht, nur der des Käptns wollte sich mir nicht einprägen - mittlerweile ist es genau umgekehrt :( Vielleicht liegt das auch daran, dass das Boot Tamer den Name des Kapitäns trägt. Jedenfalls setzte ich mich zu ihnen und die übliche Unterhaltung begann. Ich wurde auch eingeladen zuzugreifen, was ich gern, aber mit etwas Zurückhaltung tat. Sie hatten Melonen- und Schafskäsestücken als kleinen Imbiss, dazu einen gut schmeckenden Schnaps (Rakı). Dieser war in seiner Flasche klar und wurde im Glas mit Eiswasser gemischt, wobei die Flüssigkeit milchig-trüb wurde.
Ich fragte die Männer, was sie auf dem Meer machen. Ihnen fehlten wohl die passenden Worte, aber einer stand, holte etwas aus einem der an der Mole stehenden Kühlcontainer und gab es mir in die Hand. Es war ein gefrorener Shrimp, mir wurde bedeutet, ihn zu essen. Ich hatte noch nie einen "geschält" und ließ mir helfen. Er hatte einen geringen, angenehmen und frischen Eigengeschmack.
Im Laufe der Unterhaltung wurde ich auch gefragt, wo ich denn schlafen wolle, woraufhin ich unbestimmt in die Gegend deutete und mit den Achseln zuckte. Die Männer sagten, dass ich doch im Boot übernachten könne und fragten, was ich davon halte. Ich sagte, wenn der Kapitän einverstanden ist, würde ich das Angebot gern annehmen. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, also war die Sache geklärt und mein Problem gelöst. :)
Die drei Männer verabschiedeten sich und gingen. Der Kapitän und ich blieben noch sitzen, er forderte mich auf, die Schüsseln zu leeren, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Ich holte dazu das am Nachmittag gekaufte Brot und bot es auch dem Kapitän an, der jedoch ablehnte. So vertilgte ich den Schafskäse mit Brot alleine. Tamer schien zu ahnen, dass ich noch mehr Hunger hatte und holte einen Käse aus dem Kühlschrank des Bootes. Ich konnte nicht erkennen, was es für eine Sorte war - auf dem Deckel war nur eine Kuh zu sehen - jedenfalls schmeckte er köstlich. Einen Käse mit diesem Geschmack hatte ich bisher noch nicht gegessen.
Eine Katze mit zwei Jungen schlich um uns herum. Ich wollte sie nicht mit dem Käse füttern, also warf ich probehalber ein Stückchen Brot hin, was gierig verschlungen wurde. Die Mutter nahm keine Rücksicht auf ihre Kinder, wenn sie sich auf einen Happen stürzte. Deshalb versuchte ich, den Kleinen mehr zukommen zu lassen - die Mutter dürfte eher fähig, sich etwas zu besorgen. Tamer schien die Fütterung nicht zu gefallen - vermutlich würden sich die Tiere diese "Futterstelle" merken - aber ich brachte es nicht übers Herz, ihnen nichts mehr zu geben.
Als ich satt war, räumten wir auf und schafften mein Gepäck und das Fahrrad an Bord. Ich "duschte" mich wieder mit etwa zwei Litern meines Trinkwassers, dann ging ich zu Bett. Tamer hatte für mich die obere Koje vorgesehen. Dort konnte ich mich in meiner ganzen Länge ausstrecken, auch wenn meine Füße auf dem Bord neben dem Steuerrad lagen.